Was wir von Büchern über das Denken lernen können
Es gibt viele hervorragende Bücher, die beschreiben, wie unser Denken funktioniert und welche oft unbewussten Kräfte dabei walten. Meine aktuellen Lieblingstitel sind:
Daniel Kahnemann – Schnelles Denken, langsames Denken
Rolf Dobelli – Die Kunst des klaren Denkens
Nassim Nicholas Taleb – Der schwarze Schwan
Nach der Lektüre bleibt für mich allerdings oft ein großes Fragezeichen: Was mache ich mit all diesen Informationen? Und was können wir daraus für unser Handeln im Alltag lernen?
Studien, Studien, Studien – und einige Theorien
Schon während meines Studiums der Sozialpsychologie haben mich die vielen überraschenden Ergebnisse von Studien zu Entscheidungen und Bewertungen fasziniert. Hatte ich bis dahin immer gedacht ich sei Herr in meinem (Gedanken)Haus so wurde ich hier eines besseren gelehrt: viele Vorgänge in meinem Gehirn werden durch Faktoren beeinflusst, die mir gar nicht bewusst sind. Und deshalb treffe ich Entscheidungen, die alles andere als rational sind. Ein alltägliches Beispiel zeigt das sehr deutlich: Ich verbringe Zeit im Supermarkt und überlege ob ich 2 Euro sparen soll, indem ich statt der Biosalami die konventionelle kaufe. Kurz darauf bin ich im Sportgeschäft und gebe ohne zu Zögern 20 Euro mehr für Laufschuhe aus, weil sie mir besser gefallen. Und das einfach nur, weil die Laufschuhe 150 Euro und die Salami 5 Euro kosten. Dabei könnte ich mir von den 20 Euro 10 mal eine Biosalami gönnen.
Studien haben immer wieder belegt, dass ich damit nicht alleine bin: Bei der Entscheidung, ob ich Geld ausgebe spielt die Höhe des Gesamtbetrags eine wesentliche Rolle. Im Vergleich zum Preis einer Salami (4 statt 6 Euro) kommen mir 2 Euro viel vor. Die gleichen 2 Euro spielen aber kaum noch eine Rolle, wenn es um 150 Euro geht, die ich ausgebe. Rational ist das nicht, denn 2 Euro sind 2 Euro. Aber unser Gehirn funktioniert eben nicht rational, sondern ist von vielen Faktoren beeinflusst, die in vielen Fällen vom Mantel des Unbewussten verdeckt sind. Wie kann ich da überhaupt noch vernünftige Entscheidungen treffen?
Und es kommt sogar noch schlimmer: es gibt offensichtlich ziemlich viele dieser Einflussfaktoren. Rolf Dobelli führt in seinem Buch „Die Kunst des klaren Denkens“ allein 99 dieser Einflussfaktoren auf. Je nach Situation sind es wieder andere Einflussgrößen, die mich von einer objektiven und rationalen Entscheidung abbringen: die Meinung anderer Menschen, die Präsenz von Informationen in meinem Gedächtnis, die Höhe einer erwarteten Belohnung und vieles mehr.
Mal angenommen, ich hätte das Ziel, möglichst viele dieser unbewussten Einflussfaktoren auszuschließen um so möglichst objektive und rationale Bewertungen und Entscheidungen zu treffen: wie soll ich mich in diesem Dschungel an Studienbefunden orientieren?
Kahneman schafft Ordnung – System 1 und 2
In seinem Buch „Schnelles Denken – langsames Denken“ (wie so oft finde ich den englischen Titel eleganter: Thinking, Fast and slow) bringt der Nobelpreisträger Daniel Kahneman Ordnung in die Studienlandschaft. Das gefällt mir als Strukturierer natürlich gut!
Kahnemann unterscheidet zwischen zwei Teilen unseres Denkapparates. System 1 ist das intuitive, mühelose Denken, welches weite Teile unseres Alltags bestimmt. Und System 2 ist das reflektive Denken, das immer dann eingeschaltet wird, wenn das intuitive System 1 an seine Grenzen kommt. Z.B. bei Rechenoperationen oder Fragen der Wahrscheinlichkeit. Beide Systeme sind eher faul, was ich aus persönlicher Erfahrung bestätigen kann. Aus dem Blickwinkel von System 1 und 2 lassen sich viele Studienergebnisse in Zusammenhang bringen und das Feld der Studien wird leichter erfassbar. Wer mehr dazu erfahren möchte, dem empfehle ich das Buch von ganzem Herzen. Es ist eines der besten Bücher zu dem Thema, das ich gelesen habe.
Aber auch Daniel Kahneman beschreibt im Wesentlichen wie unser Denkapparat funktioniert. Bei der Frage, wie wir zu Bewertungen und Entscheidungen mit weniger persönlicher Beeinflussung kommen erfahren wir wenig. Er zeigt außerdem, dass wir die Wirksamkeit der eigenen Entscheidungen oft überschätzen und vermutet, dass viel öfter einfach Glück im Spiel ist, wenn wir uns für eine Gewinneralternative entschieden haben.
Das Buch von Rolf Dobelli beschreibt ebenfalls die Phänomene, hält sich mit Hilfsangeboten dagegen sehr bedeckt. Während den 99 Phänomenen der Beeinflussung je 3 bis 4 Seiten gewidmet sind beschränken sich die Tipps zum praktischen Umgang damit auf ein bis zwei Sätze am Ende jedes Phänomens.
Problem erkannt - und wie geht es weiter?
Wir wissen also nun, dass unsere Denkprozesse durch viele Faktoren beeinflusst werden, die uns häufig gar nicht bewusst sind. Und es gibt natürlich auch viele Fälle, in denen unsere Denkmechanismen im Alltag prima funktionieren und wir auch mit diesen irrationalen Aspekten ein glückliches und zufriedenes Leben führen können. Möchte ich jedoch realistischere Bewertungen und Entscheidungen treffen, dann bieten mir die Studien wenig systematische alltagstaugliche Ansatzpunkte.
Wenn auch zahlenmäßig gegenüber den deskriptiven Studien deutlich in der Minderheit, so gibt es doch ein paar Ansätze, um die unbewussten Einflüsse zumindest zu mindern:
- Richard Thaler und Cass Sunstein zeigen auf, wie durch die Gestaltung von Rahmenbedingungen für Entscheidungsprozesse gute Entscheidungen gefördert werden können.
- Maja Storch und Frank Krause haben mit dem Züricher Ressourcen Modell eine Methode entwickelt, die schon auf der Ebene von System 1 wirkt, indem sie z.B. Bilder statt abstrakter Worte benutzt und die unbewussten Beeinflussungen sozusagen mit den eigenen Waffen schlägt.
- Agile Methoden teilen Entscheidungsverantwortung auf verschiedene Rollen auf. So kommen automatisch mehrere Sichtweisen zum Tragen und individuelle subjektive Bewertungen werden abgeschwächt.
- Visuelle Methoden wie das Business Model Canvas oder Wardley-Maps unterstützen die intuitive Wahrnehmung von System 1 und unterstützen die Denkprozesse von System 2
Was ich mir aber wünsche, ist ein übergeordneter, systematischer Ansatz, der eben nicht nur in bestimmten Situationen sondern allgemeiner anwendbar ist. Ich arbeite daran. Und: Jeder Hinweis dazu ist herzlich willkommen.