„Einmal Coaching für 14,50, bitte…“

13. Juni 2024

oder: Coaching zum Mitnehmen

Schon oft habe ich in Buchhandlungen von Flughäfen oder Bahnhöfen inspirierende Lektüre gefunden. Als ich neulich mit dem Zug nach Wiesbaden fuhr, hatte ich vor der Abfahrt noch etwas Zeit und war gespannt, ob ich auch dieses mal wieder eine Perle der Druckkunst finden würde. Und siehe da: gleich am Eingang weckte eine Ausgabe von „Spiegel Coaching“ meine Neugier: „So will ich leben! – Sechs Trainingsprogramme für einen gelassenen Alltag“. Das ganze Heft für 14,50 Euro – billiger kann man ein gutes Leben kaum haben. Und mein Lieblingsthema „Entscheidungen“ ist auch noch dabei – die Zugfahrt war gerettet!

 

Auf immerhin 222 Seiten widmet sich diese Ausgabe von Spiegel Coaching so großen Themen wie Zuversicht, Gewohnheiten, Stressabbau, Lebensphasen und eben Entscheidungen. Das sind im Schnitt 37 Seiten je Thema – immerhin mehr Raum als diesen Themen sonst in Zeitschriftenformaten eingeräumt wird. Dort sind es dann oft nur ein bis drei Seiten. Aber was kann der geneigte Käufer erwarten? Lasst uns also schauen, ob der Aufmacher „Coaching - So will ich leben (Ausrufezeichen)“ sein Versprechen einlösen kann.

 

Die Struktur der Artikel ist sehr ähnlich aufgebaut: Mit Experteninterviews oder Fallbeispielen wird das Thema illustriert. Dann folgt ein Fragebogen zur Selbsteinschätzung, dessen Ergebnisse bei der Orientierung helfen sollen, wo die Lesenden bei dem jeweiligen Thema stehen. Abgerundet wird das Ganze dann jeweils mit einem „Coaching“. Da es ein Coaching ohne Coach natürlich nicht gibt ist der Begriff hier irreführend. Schreiben wir es dem Wunsch zu, das Heft besser verkaufen zu können. In den meisten Fällen sind es eher Checklisten oder Ratschläge, haben also mit Coaching im eigentlichen Sinne (im Dialog die Fragstellung des Coachees zu bearbeiten) wenig zu tun.

 

Auch wenn der Aufmacher etwas anderes verspricht - den reflektierten KäuferInnen sollte bei der Investition der 14,50 Euro klar sein, dass schon allein aufgrund des begrenzten Seitenumfangs keine umfassende Bearbeitung essentieller Lebensthemen erfolgen kann. Dafür sind die Themen zu komplex und für jedes einzelne gibt es eine Vielzahl von Büchern, welche die Inhalte wesentlich umfassender behandeln. Dennoch können solche Zeitschriften neue Impulse vermitteln und zum Nachdenken anregen – und das hat noch keinem geschadet.  

 

Da mich Literatur zu „Entscheidungen“ besonders interessieren, war ich natürlich gespannt, wie die Redaktion zusammen mit der Expertin Christine Flaßbeck das Thema aufbereitet. Gefreut hat mich, dass in dem Artikel das ganze Spektrum der Entscheidungssituation in den Blick genommen wird: von den kleinen alltäglichen Entscheidungen („Kaufe ich die Bio-Banane oder doch die konventionelle“) bis hin zu den großen (Beruf, Partnerschaft, Finanzen, etc.). Gut finde ich auch wie rationale und intuitive Entscheidungen gewürdigt werden. Gerade letztere kommen in der Literatur oft zu kurz und finden in dem Artikel eine angemessene Würdigung. Danke Frau Flaßbeck! Mit dem Tetralemma wird außerdem eine effiziente Entscheidungsmethode angeboten, die ich auch in meinen Trainings und Coachings vermittelt und angewendet habe – mit häufig erstaunlichen Ergebnissen.

 

Die übrigen Angebote aus dem sogenannten „Coaching“ sind mir allerdings zu platt. Wie so häufig bei Checklisten werden wichtige Lebensbereiche nicht berücksichtigt und die Fragen passen somit selten auf die eigene Entscheidungssituation. In meinen Trainings zum Thema „Entspannter Entscheidungen Treffen“ weiß ich, wie schwer es vielen Teilnehmern fällt, sich der vielen Entscheidungen, die sie täglich treffen überhaupt bewusst zu werden. Immerhin versucht, der Artikel, auch hier Impulse zu setzen. Ohne ein menschliches Gegenüber halte ich das für eine große Herausforderung.

 

Insgesamt hat mich der Artikel Thema Entscheidungen positiv überrascht – sofern die Lesenden von den unerreichbaren Versprechungen des Titels abstrahieren können. Viele der anderen Artikel bleiben aus meiner Sicht zu sehr bei Ratschlägen hängen. Die können zwar auch Impulse geben, passen aber erfahrungsgemäß häufig nicht auf die eigene Lebenssituation.

 

Hat sich die Investition von 14,50 Euro gelohnt? Für mich schon. Impulse zum Nachdenken außerhalb der eigenen Komfortzone sind immer gut – auch wenn sie im konkreten Fall vielleicht nicht passen. Als ich in Wiesbaden ankam, hatte ich auf jeden Fall wieder etwas gelernt.

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